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BeitragEine Moschee in Zeiten von Corona

Dr. Benedikt Julius Kastner

veröffentlicht am 05.07.2022

Dr. Benedikt Kastner war Promotionsstudent der Religionswissenschaft an der Universität Hamburg. In seinem Promotionsprojekt beschäftigte er sich mit der „Authentizität" von Achtsamkeits-Apps.

Die globale Covid-19-Pandemie hat viele Moscheen in Deutschland Anfang 2020 vor Herausforderungen gestellt. Durch die hohe Ansteckungsgefahr des Virus war es Muslim*innen, genau wie vielen anderen Akteur*innen, für lange Zeit nicht erlaubt, sich für die gemeinsame Praxis ihrer Religion in größeren Gruppen zu treffen. Die Gebetshäuser zeichneten sich in dieser Periode mehr durch eine menschenleere Stille, als durch den Austausch oder das Ritualisieren von Gebeten, Gesängen und Predigten aus. Ein Imam der Moschee Penzberg wollte diesen Status quo ändern. Um Muslim*innen weiterhin die Türen zu seiner Moschee offenzuhalten, nutzte er digitale Medien, die er dafür einsetzte, die Vermittlung der islamischen Tradition in der Gemeinschaft aufrechtzuerhalten.

Die Digitalisierung hat in den vergangenen Jahrzehnten mehr und mehr Raum in der Gesellschaft eingenommen. Smartphones, Social-Media und Apps strukturieren heute für viele Millionen Menschen den Alltag und liefern Zugänge zu einer Reihe verschiedener Orientierungspunkte, Lebensentwürfe und Weltanschauungen (vgl. Couldry, Hepp 2017); so auch bei der Moschee Penzberg. Die Website etwa macht Interessierte mit der islamischen Gemeinde vertraut, stellt Verantwortliche vor, klärt über das Angebot auf und gibt Aufschluss darüber, worum es beim Islam in der bayerischen Moschee geht (vgl. Islamische Gemeinde Penzberg 2022). Laut Imam Benjamin Idriz habe die Verwendung digitaler Medien (z. B. Facebook, Instagram, YouTube) durch die Pandemie stark zugenommen. Der Grund dafür war, den Dialog zwischen Imam und Gemeinde nicht abebben zu lassen. Beispielsweise initiierte Idriz digitale Gebete und Predigten sowie das digitale Rezitieren des Korans, die in der Moschee live aufgenommen, auf die privaten Bildschirme in den eigenen vier Wänden transportiert wurden. So konnte er etwa verschiedene Rituale im Fastenmonat Ramadan digital gemeinsam mit Mitgliedern der Penzberger Moschee und weiteren Interessent*innen ausüben. Übertragen auf die Bildschirme sei der Imam so im Zuhause von Muslim*innen angekommen. Als Reaktion auf seinen digitalen Besuch hätten einige Kinder den Monitor oder das Display aus Freude geküsst. Die in die religiöse Praxis integrierte Medientechnologie ermöglichte es also Muslim*innen einerseits räumliche Grenzen zu umgehen und andererseits die Vorteile einer Welt der Algorithmen und Bits für sich und ihre Bedürfnisse zu entdecken. So auch ein Brautpaar, dass sich in den Zeiten der Pandemie digital vom Imam der Islamischen Gemeinde Penzberg trauen ließ.

Der Gebrauch von Technologien und Medien für die Vermittlung von Religion ist für den Religionswissenschaftler Jeremy Stolow Ausgangspunkt seiner Arbeit. Gemäß Stolow sei es nicht möglich, eine Religion zu nennen, in der es keine Medien oder Technologien gibt. Zum Ausdruck kommen sie unter anderem bei Musikinstrumenten, Werkzeugen, Kleidung, Bauten, Glücksbringern oder eben auch bei digitalen Tools. In dem Ansatz geht es um die materialen Dimensionen, die verknüpft mit kognitiven Botschaften Akteur*innen Religion sinnlich erleben lassen (vgl. Stolow 2008: 194-195; Prohl 2012: 379, 382). Für die Moschee Penzberg etwa lautet die Gleichung à la Stolow: Imam + Moschee + Medientechnologien + Rezipient*innen = Erleben von Religion. 
Während islamische Theologen sich während der Pandemie mit der Frage beschäftigt haben, ob muslimische Gebete digital ausgeübt werden dürften, beruft sich der Penzberger Imam in seinem Entschluss für den Gebrauch digitaler Medien auf eine transzendente Deutungshoheit. Es liege nicht bei den Theologen abzuschätzen, wann ein Gebet gültig ist und wann nicht. Das zu beurteilen, liege seiner Meinung nach bei Allah. Laut Idriz könne er das, was er in der Moschee erfährt, digital an die Zuschauer*innen weitergeben. Die Wirksamkeit religiöser Gebete oder auch die performativen Kräfte, die bei einer Trauung zu Tage treten, könnten so über ihn aus der Moschee in die Wohnzimmer der Anhänger*innen transportiert werden. Die Folge ist ein digitaler Vermittlungsprozess in Sachen Islam, der über die regionalen Grenzen hinausgeht. Idriz betont, dass er mit seinen Live-Schaltungen mehr Menschen erreicht habe, als es in den Räumlichkeiten der Moschee möglich gewesen wäre. Zum Vergleich: In der Moschee haben maximal 1.000 Besucher*innen Platz. Bis zu 6.000 Zuschauer*innen aus verschiedenen Ländern haben hingegen den Live-Schaltungen beigewohnt.

Digitale Medien, die in der religiösen Praxis zum Einsatz kommen, formen die Sinnstrukturen einer Religion und wirken sich dadurch auch auf die religiöse Erfahrung ihrer Anhänger*innen aus. Welches Medium oder welche Technologie in die Praxis integriert wird und warum, geschieht durch Akteur*innen und die Dynamik ihrer Wünsche und Bedürfnisse, gepaart mit gesellschaftlichen Kontexten und Herausforderungen. Als Legitimation für die Nutzung digitaler Medien wurde bei der Penzberger Moschee eine transzendente Macht herangezogen, deren Wirksamkeit der Imam aus der Moschee über die Bildschirme weitergegeben hat.

Vernwendete Literatur

Couldry, Nick, und Andreas Hepp. 2017. The Mediated Construction of Reality. Cambridge, Malden: Polity Press.

Islamische Gemeinde Penzberg e. V. 2022. Website: https://islam-penzberg.de/imam-benjamin-idriz/ (zuletzt abgerufen am 24.05.2022).

Prohl, Inken. 2012. „Materiale Religion“. In Religionswissenschaft, herausgegeben von Michael Stausberg, 379–92. Berlin, Boston: De Gruyter.

Stolow, Jeremy. 2008. „Technology“. In Keywords in Religion, Media and Culture, herausgegeben von David Morgan, 187–97. New York, London: Routledge.