Blogbeitrag Achtsamkeit, Apps und die Sache mit der Künstlichen Intelligenz
Dr. Benedikt Julius Kastner
veröffentlicht am 02.11.2021
Dr. Benedikt Kastner war Promotionsstudent der Religionswissenschaft an der Universität Hamburg. In seinem Promotionsprojekt beschäftigte er sich mit der „Authentizität" von Achtsamkeits-Apps.
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Die Kombination von Achtsamkeit mit Künstlicher Intelligenz (KI) liegt im Trend. Die App Kintsugi beispielsweise nutzt KI, um für Nutzer*innen anhand von Stimmanalyse eine passgenaue Achtsamkeits-Meditation zu empfehlen. Das soll so funktionieren: Die App stellt eine Frage zum aktuellen Gefühlszustand ihrer Nutzer*innen, auf welche die Nutzer*innen verbal antworten. Dieser Vorgang nennt sich Voice Journaling. Mit dem Tippen auf einen Button, der ein Diktiergerät zeigt, kann die Schilderung des Gefühlszustandes beginnen. Während die Nutzung von Achtsamkeits- oder Wellness-Apps bereits in den letzten Jahren Mode geworden ist, hebt der Gebrauch von KI den Hype um Selbstoptimierung und mentale Gesundheit auf eine neue Stufe.
Was hat das alles mit Achtsamkeit zu tun? Historisch ist das Konzept der Achtsamkeit auf buddhistische Strömungen zurückzuführen. Buddhistische Gottheiten oder Priester*innen kommen in der App Kintsugi jedoch nicht vor. Achtsamkeit sei mehr ein Ausdruck für Ruhe, Entspannung und Ausgeglichenheit – so die App. Die Vorstellung Achtsamkeit rufe eine positive Veränderung im Menschen hervor, ist jüngeren Ursprungs: Insbesondere der Molekularbiologe Jon Kabat-Zinn hat in den 1970er-Jahren durch das Zusammenführen von Achtsamkeit mit Therapie und Wissenschaft dazu beigetragen, ein säkulares Profil von Achtsamkeit zu schärfen. Der Buddha verschwand in den Transformationen immer mehr im Hintergrund.
Die App Kintsugi:
Das Wort "Kintsugi" kommt aus dem Japanischen und bezeichnet eine Reparaturmethode für Keramik – eine Symbolik, die in der App nicht zu kurz kommt. Ähnlich wie zerbrochene Keramikstücke repariert werden können, könne auch der Mensch seine emotionalen Brüche wieder instand setzen. Hierbei sollen ein paar Klicks in der App sowie das Voice Journaling helfen.
Während der Sprachaufnahme mit dem Diktiergerät, zeigt Kintsugi Emojis an, die die von der KI diagnostizierten Emotionen darstellen. Entsprechend der Einschätzung ihrer emotionalen Verfassung stellt die App den Nutzer*innen Fragen. Basierend auf der Analyse ihrer Antworten verrät sie, welche weiteren Emotionen sie in der Stimme ausmachen konnte. Wenn Kintsugi etwa depressive oder ängstliche Gemütszustände erkennt, wird den Nutzer*innen ein Button mit dem Titel "Wellness Check-in" angezeigt. Mit einem Klick auf den Button durchlaufen die Nutzer*innen einen weiteren Fragenkatalog zu ihren emotionalen Befindlichkeiten. Im Anschluss können sie eine Meditation zur Atemkontrolle durchführen. In vielen Achtsamkeits-Apps gilt der Fokus auf den Atem als Kerntechnik für Entspannung.
Diagnostiziert die KI einen depressiven Zustand, zeigt die App während der Stimmanalyse traurige Emojis. Neben der Anleitung zur Meditation erscheinen daraufhin folgende Buttons: "Talk to someone close", "Look for help in your country" und "I’ll keep myself safe for now". Da stellt sich die Frage: Wie kann die App Emotionen der Nutzer*innen auf Grundlage von Sprachaufnahmen analysieren?
Auf der Website des App-Unternehmens finden Nutzer*innen Antworten:
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As you vent, our comprehensive models use innovative voice biomarker technology to gauge your levels of anxiety and depression on the GAD-7 and PHQ-9 clinical modules. Kintsugi then recommends various exercises tailored to your current state to help you achieve mental well-being. Track your own journal entries and health trends while interacting with a supportive community.
(Kintsugi 2021)
Hiermit wird auf die Möglichkeit verwiesen, dass die Nutzer*innen ein Diagramm einsehen können, auf dem ihre emotionalen Zustände – inklusive Datum und Diagnose – aufgeführt sind. Der Aufbau der App wie auch das Meditations-Repertoire orientieren sich laut Selbstdarstellung an Inhalten der Neurowissenschaft und der kognitiven Verhaltenstherapie. Eine solche Verknüpfung von Achtsamkeit mit Wissenschaft und Therapie ist auch Thema in weiteren Apps. Beispielsweise fundieren viele Meditationen von The Mindfulness App oder der Meditation Studio App auf dieser Verbindung. Um Nutzer*innen geeignete Meditationen für ihre Bedürfnisse anzubieten, greifen diese Apps aber nicht auf KI-Technologien zurück. Ein Update könnte das ändern, denn das technologische Know-how dafür existiert bereits. Die App Kintsugigeht als Beispiel voran.
Bei Kintsugi ist es nicht mehr der Mensch, der die Verantwortung für sich und sein Wohl trägt. Es ist die Maschine. Das Ganze folgt dem Gedanken: Menschen können Fehler machen, Maschinen aber nicht.
Verwendete Literatur:
Kintsugi Mindful Wellness, Inc. 2021: Website: https://kintsugihello.com (zuletzt abgerufen am 08.03.2021).
McMahan, David L. 2008. The Making of Buddhist Modernism. New York: Oxford University Press.
Nehring, Andreas und Christoph Ernst. 2013. "Populäre Achtsamkeit. Kulturelle Aspekte einer Meditationspraxis zwischen Präsenzerfahrung und implizitem Wissen". In Präsenz und implizites Wissen. Zur Interdependenz zweier Schlüsselbegriffe der Kultur- und Sozialwissenschaften, herausgegeben von Christoph Ernst und Heike Paul, 1:373–401. Präsenz und implizites Wissen. Bielefeld: Transcript.