Blog-Intro Religion, Technologien und Künstliche Intelligenz
Autoren und Autorinnen: Inken Prohl unter Mitarbeit von Benedikt Kastner und Laura Brandt
veröffentlicht am 17.09.2021
Medientechnologische Erfindungen prägen seit jeher, wie Religionen vermittelt und wie sie praktiziert werden. Von Palmblättern, Büchern und Flugblättern über Radio- und Fernsehsendungen bis hin zum Internet: Medientechnologien verändern religiöse Vorstellungen, Praktiken und Materialitäten. Konkret lässt sich dieser Einfluss beispielsweise in Form des Bestsellers Die Bibel, astrologischer Radiosender, evangelikaler Fernsehprediger und Fernsehpredigerinnen oder Cyber-Ashrams beobachten.
Religionen verbreiten sich also nicht nur mit Hilfe spezifischer Medientechnologien, sie befinden sich unter Einfluss dieser Technologien auch selbst in kontinuierlichem Wandel. Aus der Reihe von Medientechnologien nicht wegzudenken, sind die Materialitäten, die der Vermittlung von Religionen dienen: Bilder, Statuen, Gerüche, religiöse Umweltsettings, Architekturen, Alltagsgegenstände, Rituale, Performanzen und vieles mehr gehören zu den religiösen Medien, die Akteure und Akteurinnen anziehen und an Religionen binden. Medien stehen also in vielfältiger Form – als Massenmedien, Medientechnologien, religiösen Medien – in einem dynamischen Wechselverhältnis mit Religionen.
Dieses dynamische Wechselverhältnis wird durch den Begriff der Medialisierung beschrieben. Er verweist unter anderem auf das schöpferische Potential, das durch den Gebrauch von Medientechnologien freigesetzt wird: Die Technologien ermöglichen einer Vielzahl von Akteuren und Akteurinnen auf religiöse Narrationen, Vorstellungen und Materialitäten zuzugreifen, selbige nach Belieben zu interpretieren oder miteinander zu kombinieren und die Ergebnisse mit Hilfe der Medien erneut in Umlauf zu bringen. Dabei werden immer häufiger religiöse Semantiken mit Narrationen und Designs aus den Feldern Medizin, Therapie, Populärkultur, Marketing sowie Freizeit und Rekreation verschmolzen.
In den letzten Dekaden haben digitale Technologien – allen voran das Internet, Künstliche Intelligenz und Virtuelle Realität – einschneidende Veränderungen im Feld der Religionen bewirkt: In Kyoto gibt der Roboter Mindar Unterweisungen in die buddhistische Lehre. Muslimische Prayer Bots, also Roboter, die automatische Nachrichten verschicken, sind in sozialen Netzwerken aktiv. Augmented-Reality-Programme lassen Tote virtuell wieder auferstehen. Mit Hilfe von Spracherkennungssoftware empfehlen Achtsamkeits-Apps passgenaue Meditationen für die jeweiligen Nutzer und Nutzerinnen. Kirchen nutzen Big Data und Algorithmen, um individualisierte religiöse Angebote zu generieren. Und schließlich sind wir von einer exponentiell ansteigenden Zahl von IoT (Internet of Things)-Anwendungen umgeben, also Computer-Chips, die ihre Umgebung wahrnehmen, miteinander kommunizieren können und uns dabei zunehmend kontrollieren. Der massenweise Einzug der winzigen digitalen „Geister“ in unseren Alltag wird als Heranbrechen eines neuen digitalen Animismus gewertet. Kurzum: Religionen nutzen digitale Technologien, drücken sich durch sie aus und initiieren neue Formen der religiösen Praxis, Teilnahme und Lehre. Zugleich häufen sich die Anzeichen dafür, dass sich Teilbereiche der Künstlichen Intelligenz selbst in etwas wie Religion verwandeln.
Unser Blog Religion, Technologien und Künstliche Intelligenz thematisiert den durch Technologien, Medien und Künstliche Intelligenz hervorgerufenen Wandel von Religionen. Die Beiträge debattieren, wie sich Praxis, soziale Organisationsformen und Nutzer und Nutzerinnen von Religionen verändern. Im Mittelpunkt stehen hierbei die wechselseitigen Einflüsse von virtuellen und nicht-virtuellen Welten sowie die Medialisierung und ihre Auswirkungen. Geboten werden Beiträge über den Einfluss technologischer Innovationen auf Religionen, über die durch Medientechnologien ermöglichte Kreation neuer religiöser Narrationen und Formationen sowie über den Gebrauch von KI durch Religionen, zum Beispiel in Apps oder in Form des Einsatzes von Robotern als Priester und Priesterinnen. Zur Sprache kommen außerdem die Transformationen religiöser Vorstellungen und Praktiken durch Technologien wie KI, etwa in Gestalt neuer religiöser Bewegungen oder der KI als religionsanaloger Formation. Zentrale Fragestellungen richten sich im Zuge dessen auf die religiösen Rhetoriken und Heilsversprechen der Diskurse über die KI und darauf, wie Akteure und Akteurinnen Technologien und Medien religionsproduktiv einsetzen. Gefragt wird schließlich auch, wie sich dabei verändert, was unter Religion verstanden wird.
Weiterführende Literatur
Campbell, Heidi A. 2017. „Surveying theoretical approaches within digital religion studies“. New media & society 19 (1): 15–24.
Heffernan, Teresa, Hrsg. 2019. Cyborg Futures. Cross-disciplinary Perspectives on Artificial Intelligence and Robotics. Cham: Palgrave Macmillan.
Marenko, Betti. 2020. „Algorithm Magic: Gilbert Simondon and Techno-Animism“. In Believing in Bits: Digital Media and the Supernatural, herausgegeben von Simone Natale und Diana Walsh Pasulka, 213–28. New York: Oxford University Press.
Stolow, Jeremy. 2005. „Religion and/ as Media“. Theory, Culture & Society 22 (4): 119–45.