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Blogbeitrag Die Verheißung des Mars und der Daten – New Space, KI und Religion

Peggy Reeder, M.A.

veröffentlicht am 16.12.2024

Peggy Reeder, M.A. ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Religionswissenschaft, Heidelberg. In ihrer Promotion analysiert sie die das Verhältnis von New Space in Europa und Religion.

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Dissertationsprojekt

Peggy Reeder, M.A.

New Space as a formation analogous to religion? Connections of religion and commercialized space flight (working title)

Raumfahrt und Religion passen auf den ersten Blick nicht zusammen. Naturwissenschaftliche Bestrebungen, das All zu erforschen, scheinen im Gegensatz zu Religion als unwissenschaftlicher und glaubensbasierter Sozialform zu stehen. Doch in der gesellschaftlichen Wahrnehmung von Astronaut*innen als Auserwählte zeigen sich religiöse Dynamiken (vgl. Weibel 2024), Astrophysiker*innen begründen ihr Interesse zuweilen am Weltraum religiös (vgl. Sagan 2006) und religiöse Semantiken zur Beschreibung des Himmels als "the heavens" tauchen in Buchtiteln zur Raumfahrtgeschichte auf (vgl. Vance 2023; McDougall 1985; Johnson-Freese 2016). Raumfahrt und Religion sind verwobener als vielleicht vermutet. 

New Space beschreibt die kommerzialisierte Raumfahrt. Durch günstige Produktion und wiederverwendbare Bauteile soll der Zugang zum All einfacher und günstiger gemacht werden. Dort können durch bemannte Raumfahrt und Satelliten wissenschaftliche Erkenntnisse über den Weltraum, z.B. den Mars, und die Erde gewonnen werden. Mehr als die Hälfte des jährlichen weltweiten Umsatzes dieser Industrie fällt dabei auf den Downstream-Sektor, d.h. die kommerzielle Nutzung satellitenbasierter Daten aus dem All (Kind et al. 2020, 8). Religionswissenschaftliche Beiträge über New Space beleuchten bislang vor allem die Bestrebungen der marktführenden Unternehmer Elon Musk und Jeff Bezos, den Mars zu besiedeln und Bergbau auf dem Mond zu betreiben. Beides wird als religionsanaloge Fortführung eines nicht endenden US-amerikanischen Expansionsdranges interpretiert (vgl. McFarland Taylor 2022; Rubenstein 2022). Zuschreibungen an den Mars als "Planet B", die Beschwörung des heilsbringenden Potentials der Expansion ins All und die Gefolgschaft um Elon Musk als innovativen Unternehmer, der scheinbar keine Limits kennt (vgl. McFarland Taylor 2022), legen Vergleiche mit Religion nahe. 

Der Diskurs um New Space ähnelt Debatten um KI: Statt auf den realen Auswirkungen des günstigeren Zugangs zum All mit kleineren Satelliten und den großen Datenmengen, die dadurch über die Welt erhoben werden, liegt der Fokus auf Marskolonisationsvorhaben. So heben die Religionswissenschaftlerinnen Sarah McFarland-Taylor und Mary-Jane Rubenstein besonders die expliziten Heilsversprechen, Parallelen zu Messianismus, Imperialismus sowie die Realitätsferne der Zukunftsvisionen hervor. Dabei lassen sie außer Acht, dass Weltraumbergbau, Weltraumtourismus und Bestrebungen andere Planeten zu besiedeln momentan nur „eine reine Vision“ und kein realer Wirtschaftszweig sind (Kind et al. 2020, 68). Im Gegensatz dazu sind günstige Satelliten, Erdbeobachtung und Kommunikationssysteme schon umgesetzte Anwendungsfelder im New Space-Bereich (Kind et al. 2020, 45). 

Es lassen sich ähnliche Dynamiken beobachten wie beim Aufkommen von KI: Subtilere Anwendungen von KI, die schon verwendet werden und auf das soziale Zusammenleben und die Umwelt einwirken, werden im Schatten großer, Science-Fiction-inspirierter Visionen von Cyborgs, übermächtigen Robotern und KI als „Superintelligenz“ übersehen (vgl. Crawford 2021; Heffernan 2020). Im starken Kontrast dazu werden, auch im New Space-Feld, fast selbstverständlich KI-Anwendungen zur Datenanalyse eingesetzt. Der öffentliche Kurs thematisiert selten, welche Probleme das aufwirft. Zugang zum All geht einher mit Macht über Infrastruktur im All und über Erdbeobachtungsdaten, die auch geopolitisch und militärisch eingesetzt werden können. Welche Daten erhoben und ausgewertet werden, hat somit auch geopolitische Konsequenzen. 

Die New Space-Ambitionen stehen in einem ähnlichen Kontext von Heilsversprechen und Religionsanalogien, wie sie sich im Feld der KI beobachten lassen. Akteur*innen preisen KI als eine vielversprechende Technologie an, die gesellschaftliche Probleme lösen können soll. Weite Teile der Debatte um KI betonen das innovative, weltverändernde Potential der neuen Technologie. Dabei steht nicht selten eine mystifizierte Vorstellung von KI im Vordergrund statt konkreter datenverarbeitender Anwendungen. Die gesellschaftlichen und materiellen Auswirkungen, z.B. von algorithmusgestützen Kreditwürdigkeitsprüfungen oder die Umweltbelastung durch die benötigte Hardware und Rechenleistung, blieben dabei lange unberücksichtigt. Ähnliches findet sich bei New Space: Zum Beispiel soll satellitenbasiertes Internet eine weltweite Vernetzung ermöglichen. Durch Erdbeobachtungsdaten könnte passgenaue und nachhaltigere Präzisionslandwirtschaft betrieben werden. Unternehmen veröffentlichen in "Missionen" und "Visionen" ihre Langzeitziele, die in vielen Fällen der Menschheit insgesamt nützen sollen (vgl. RFA, n.d.). Wie bei großen, ablenkenden Vorstellungen von KI bleibt dabei eine Betrachtung subtilerer Dynamiken von New Space aus. Zukunftsvorstellungen, Heilsversprechen, und Religion als sprachlicher Referenzpunkt: New Space ist, wie KI, religiöser und vielschichtiger als bisher dargestellt. 

Literatur

BDI. n.d. “NewSpace Initiative.” NewSpace. Accessed May 31, 2024. https://bdi.eu/themenfelder/sicherheit/newspace-initiative.

Crawford, Kate. 2021. Atlas of AI: Power, Politics, and the Planetary Costs of Artificial Intelligence. New Haven; London: Yale University Press.

Heffernan, Teresa. 2020. “Fiction Writes Back: ‘Limitless Profit’, Artificial Intelligence, and the Immortality Industry.” Researcher. European Journal of Humanities & Social Sciences 3 (1): 27–46. https://doi.org/10.32777/r.2020.3.1.2.

Johnson-Freese, Joan. 2016. Space Warfare in the 21st Century: Arming the Heavens. London: Routledge. https://doi.org/10.4324/9781315529172.

Kind, Sonja, Tobias Jetzke, Lukas Nöge, Marc Bovenschulte, and Jan-Peter Ferdinand. 2020. New Space – Neue Dynamik in Der Raumfahrt. Berlin: Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag.

McDougall, Walter A. 1985. The Heavens and the Earth: A Political History of the Space Age. New York, NY: Basic Books.

McFarland Taylor, Sarah. 2022. “‘F*ck Earth’: Unmasking Mars Colonization Marketing, from Planetary Perceived Obsolescence to Apocalyptic ‘New Earth’ Rhetoric.” Journal of Religion, Media and Digital Culture11 (November):54–84. https://doi.org/10.1163/21659214-bja10067.

RFA. n.d. “Our Vision.” Accessed May 31, 2024. https://www.rfa.space/vision/.

Rubenstein, Mary-Jane. 2022. Astrotopia: The Dangerous Religion of the Corporate Space Race. Chicago; London: The University of Chicago Press.

Sagan, Carl. 2006. The Varieties of Scientific Experience: A Personal View of the Search for God. Penguin Press.

Vance, Ashlee. 2023. When The Heavens Went On Sale: The Misfits and Geniuses Racing to Put Space Within Reach. London: WH Allen.

Weibel, Deana L. 2024. “Astronauts as Chosen People: Religious Ways of Understanding the Astronaut Experience and Life After Space.” In Religion and Outer Space, edited by Eric Michael Mazur and Sarah McFarland Taylor, 216–32. Abingdon, Oxon; New York, NY: Routledge.