Beitrag Corona sorgt für Digitalisierungsschub in Moscheegemeinden

Ein Interview mit Samira Tabti, M.A. (geführt von Dr. Benedikt Julius Kastner)

veröffentlicht am 16.03.2022

Dr. Benedikt Kastner war Promotionsstudent der Religionswissenschaft an der Universität Hamburg. In seinem Promotionsprojekt beschäftigte er sich mit der „Authentizität" von Achtsamkeits-Apps.

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Samira Tabti, M.A.

Samira Tabti, M.A. ist Doktorandin am Centrum für Religionswissenschaftliche Studien der Ruhr-Universität Bochum. In ihrem Promotionsprojekt beschäftigt sie sich mit Religionskritik und Säkularisierungsdiskursen in arabischsprachigen Onlinemedien.

B. Kastner: Frau Tabti, Sie haben eine Studie zu der Frage durchgeführt, wie Moscheen in Deutschland digital aufgestellt sind. Was war der Hintergrund für diese Studie?

S. Tabti: Die Studie fand im Auftrag des  statt. Anliegen war es, der Frage nachzugehen, wie muslimische Gemeinden im Netz aufgestellt sind und ob die Corona-Pandemie Einfluss auf die Nutzung digitaler Medien hat. Ich habe Daten von über 480 Gemeinden erhoben und zusätzlich per Onlinefragebogen die Verantwortlichen von 100 Moscheen zum Thema Digitalisierung befragt.

B. Kastner: Verschiedene muslimische Strömungen und Gemeinden waren Gegenstand Ihrer Studie. Haben Sie Unterschiede in den Digitalisierungslösungen feststellen können?

S. Tabti: Die Untersuchung hat gezeigt, dass es gewisse Zusammenhänge zwischen Internetnutzung und Größe der Gemeinde oder des Verbands gibt. Kleinere Moscheegemeinden nutzen beispielsweise mehrheitlich Facebook-Gruppen und verfügen nicht über eine eigene Website. Bestimmte Konfessionen wiederum tauchen in unterschiedlichen sozialen Netzwerken wie Facebook, YouTube, Instagram oder Twitter auf, wie etwa die Ahmadiyya. Ähnliches lässt sich auch für Moscheen beobachten, die einem Dachverband wie beispielsweise DITIB oder VIKZ (Verband der Islamischen Kulturzentren) angehören. Deren Social-Media-Kanäle werden teilweise auf den Websites der Verbände verlinkt und sind dadurch natürlich einfacher zu finden, im Gegensatz etwa zu den freien Moscheen. Digitalisierungslösungen hängen also eher von der Größe und weniger von der religiösen Ausrichtung der Gemeinde ab.

B. Kastner: Hat die Corona-Situation in den vergangenen zwei Jahren dazu beigetragen, dass sich Moscheen in Deutschland mehr mit digitalen Medien auseinandersetzen?

S. Tabti: Es lässt sich tatsächlich sagen, dass die Pandemie einen gewissen Digitalisierungsschub bewirkt hat; vor allem der Lockdown, der zu Moscheeschließungen führte und sich auch auf den Ramadan auswirkte. Viele Verantwortliche aus den Vorständen haben angefangen, einen Teil der religiösen Veranstaltungen, wie etwa Vorträge, Gesprächskreise und Predigten, online anzubieten. Aber auch interne Tätigkeiten wie Unterricht, Sitzungen und die Verwaltung wurden zunehmend digitalisiert. Etwa die Hälfte der Befragten hat angegeben, dass sie wegen Corona digitale Onlinemedien nutzen oder vorhaben, diese noch stärker einzusetzen.

B. Kastner: Mit was für Herausforderungen hatten die Moscheen zu tun, um ihre Gemeindemitglieder in den Hochzeiten der Pandemie digital zu erreichen?

S. Tabti: Wie ich beobachten konnte, kämpften einige Moscheen, nachdem das Gemeinschaftsgebet unter bestimmten Vorlagen wieder möglich war, mit Organisationsproblemen. Die Verantwortlichen mussten sicherstellen, dass sich die Besucherinnen und Besucher der Moscheen vorher anmelden können und nutzten dafür Anmeldetools und eine Software, um die Teilnahme zu managen. Aber diese Tools kosten teilweise Geld und benötigen manchmal ein gewisses technisches Know-how. Als Beispiel lässt sich das Einbinden von Anmeldeformularen auf den eigenen Websites nennen.

B. Kastner: Wofür werden digitale Medien in den Moscheen eingesetzt bzw. was wird über diese Medien vermittelt?

S. Tabti: Moscheen haben digitale Medien vorwiegend für administrative Aufgaben und Dienste eingesetzt. Das passierte mehrheitlich eher auf einer einfachen Ebene, zum Beispiel wurden Mitgliedertreffen über Zoom gehalten oder Unterlagen, Protokolle, Nachweise und Rechnungen, elektronisch angeboten und digital verwaltet. Religionsunterricht und Gesprächskreise wurden auch über digitale Medien und mit digitalen Anmeldetools organisiert. Genutzt wurden ebenfalls soziale Netzwerke, mehrheitlich Facebook und eigene Websites, um religiöse Veranstaltungen wie Gebete und Predigten anzukündigen, live zu übertragen oder auch um Videos und Audios zu hosten. Einige Moscheen und Verbände nutzen zum Teil auch heute noch YouTube, um darüber Freitagsgebete zu streamen oder religiöse Gespräche und Themenabende wiederzugeben.

B. Kastner: Was versprechen sich die Verantwortlichen in den Moscheen davon, digitale Medien für die Vermittlung ihrer Religion zu nutzen?

S. Tabti: Gerade für große Verbände und Moscheen sind Onlineauftritte für die Öffentlichkeitsarbeit wichtig. Sie wollen gesehen werden und nutzen das Netz, um aus der eigenen Perspektive über ihre Arbeit sowie über den Islam zu sprechen. Hinzu kommt, dass das Internet für Moscheen und religiöse Autoritäten ein idealer "Raum" ist, um eigene religiöse Deutungen und Inhalte zu verbreiten. Auf dem "Markt der Religionen" herrscht großer Wettbewerb zwischen den Religionsgemeinschaften, Konfessionen und unterschiedlichen Strömungen. Die muslimischen Gemeinden konkurrieren miteinander darum, neue Mitglieder anzuwerben. Sie müssen sich auch bemühen, die eigenen Mitglieder langfristig zu binden, da sich die Gemeinden überwiegend über Spenden und freiwillige Beiträge der Mitglieder finanzieren.

B. Kastner: Gibt es theologische Diskussionen über die Verwendung digitaler Medien im religiösen Alltag? Wenn ja, welche?

S. Tabti: Es gibt im Zusammenhang mit Corona die Diskussion darüber, ob das Gemeinschaftsgebet per Livestream stattfinden und übertragen werden darf: Also, dürfen Muslime und Musliminnen von zu Hause per Livestream am Gemeinschaftsgebet teilnehmen. Damit haben sich beispielsweise weltweit sunnitische Autoritäten auseinandergesetzt und sind zu dem Schluss gekommen, dass das islamisch nicht erlaubt sei, da die Nähe zum Imam sowie die Kollektivität fehlen würden. Das European Council for Fatwa and Research hat daraufhin eine Fatwa gegen das Beten per Livestream herausgegeben. Diese wurde auch vom Fatwa-Ausschuss in Deutschland übersetzt und auf deren Website gestellt.

B. Kastner: Haben Sie in Ihrer Studie herausgefunden, ob sich religiöse Praktiken durch den Einsatz digitaler Medien verändert haben? Spielen Apps zum Beispiel eine Rolle?

S. Tabti: Dafür war die Studie über die Gemeinden nicht angelegt, um diese Frage beantworten zu können. Leider. Außerdem stehen viele Moscheegemeinden in puncto Digitalisierung noch relativ am Anfang. Es gibt auch noch keine sichtbare inhaltliche oder religiöse Auseinandersetzung mit der Thematik. Es wäre aber sicher interessant, diese Entwicklung weiter zu beobachten. Sollten sich Dienste wie virtuelle 3-D Reality, wie sie beispielsweise Facebook mit Metaverseangekündigt hat, durchsetzen, stellt sich die Frage, ob muslimische Gemeinden solche Technologien auch für Predigten und andere religiöse Tätigkeiten nutzen würden. Technologien wie Extended-Reality könnten somit Interaktionsprozesse zwischen "digitalen und realen Räumen" ermöglichen.

B. Kastner: Sie haben bereits über die Nutzung sozialer Medien in den Moscheen gesprochen. Welche Rolle spielen sie für die Vermittlung religiöser Inhalte?

S. Tabti: Soziale Medien spielen eine wichtige Rolle für die Vermittlung und Verbreitung religiöser Inhalte. Auf solchen Netzwerken entstehen "Diskussionsräume", wo religiöse Fragen verhandelt werden. Viele nutzen die sozialen Netzwerke für die Dawah-Arbeit, eine missionarische Aktivität. Auf den sozialen Netzwerken präsentieren sich die Gemeinden und bieten mittlerweile auch religiöse Dienste an: Imame auf YouTube beantworten per Livestream Fragen oder halten Onlinepredigten zu unterschiedlichen Themen. Sie besprechen Koransuren und Hadithe, predigen über Moral und Tugend oder erklären, wie rituelle Praktiken, etwa Gebetswaschung, Fasten, Pilgerfahrt, korrekt durchgeführt werden müssen. Sie gehen auch auf aktuelle Geschehnisse ein. So leisten einige Moscheen Aufklärungsarbeit über Corona. Hinzu kommt, dass es vielfältige "Onlinebibliotheken" und "Onlinearchive" für islamische Literatur gibt und viele Websites auch deutschsprachige Übersetzungen muslimischer Quellen anbieten.

B. Kastner: Gibt es muslimische Influencer oder Influencerinnen, die in Deutschland das religiöse Leben mitbestimmen? Wie sieht ihre mediale Inszenierung aus?

S. Tabti: Ich habe nur zu den salafistischen "Berühmtheiten" im Internet gearbeitet. Es gab und gibt noch viele aktive neokonservative Akteure, die sicherlich auch als Influencer bezeichnet werden können, weil sie im Netz stark präsent und breit aufgestellt sind. Einer der prominentesten deutschen Onlineprediger ist Pierre Vogel (Abu Hamza). Er wird dem politisch-missionarischen Salafismus angerechnet und wird vom Verfassungsschutz beobachtet. Pierre Vogel nutzt unterschiedliche Kanäle im Netz. Seine Videos werden teilweise ins Englische und Arabische übersetzt und weiterverarbeitet. Salafistische Prediger und ihre Anhängerinnen und Anhänger bilden nur eine sehr kleine Minderheit unter den Musliminnen und Muslimen in Deutschland. Sie sind aber im Internet sehr aktiv.

B. Kastner: Im Silicon Valley ist der Sprung von digitalen Medien hin zur Künstlichen Intelligenz nicht weit. Wie sieht das bei Moscheen in Deutschland aus?

S. Tabti: KI ist (noch) kein Thema. Wie schon erwähnt, haben viele Moscheegemeinden erst kürzlich angefangen, bewusst digitale Medien einzusetzen und regelmäßig religiöse Dienste und Angebote ins Internet zu stellen. Andere bemühen sich noch darum, eine eigene Website zu erstellen oder ihre Onlineauftritte zu professionalisieren. Die Onlinebefragung hat gezeigt, dass die Mehrheit der muslimischen Gemeinden sich mehr Digitalisierung wünscht, aber viele Moscheen es sich finanziell nicht leisten können, digitale Medien und digitale Technologien professionell einzusetzen.

B. Kastner: Liebe Frau Tabti, herzlichen Dank für das Interview.