INSTITUT FÜR RELIGIONSWISSENSCHAFT Identitätspolitik als religionsanaloge Formation
Forschungsprojekt: Fundamentalistischer Altruismus – Die Sakralisierung des Mitgefühls und ihre gesellschaftlichen Folgen
Das Forschungsprojekt „Fundamentalistischer Altruismus – Die Sakralisierung des Mitgefühls und ihre gesellschaftlichen Folgen“ untersucht die Dynamiken einer zunehmend moralisch aufgeladenen Fürsorgekultur, in der Empathie, Solidarität und Gerechtigkeitsstreben nicht nur als Tugenden, sondern als unumstößliche moralische Imperative auftreten. Der Begriff „fundamentalistischer Altruismus“ beschreibt die Besonderheiten der moralischen Identitätspolitik: eine Haltung, in der Mitgefühl und Fürsorge zu zentralen gesellschaftlichen Werten erhoben werden, jedoch mit einer Strenge und Unnachgiebigkeit einhergehen, die an religiöse Bewegungen erinnert.
Besonders sichtbar wird diese Entwicklung in der Wahrnehmung gesellschaftlicher Felder, die als zunehmend „feminin“ charakterisiert werden: Bildung, soziale Arbeit, Journalismus und Kulturwissenschaften. Diese Felder zeichnen sich durch eine Ethik der Fürsorge und des Schutzes vulnerabler Gruppen aus, doch zeigt sich zugleich eine Tendenz zur moralischen Absolutheit: Wer sich den vorherrschenden Narrativen nicht anschließt oder alternative Perspektiven einnimmt, riskiert soziale Ächtung.
Im Zentrum der Analyse steht die Frage, inwiefern Frauen – empirisch nachweisbar stärker in Empathie, Fürsorge und Harmonieorientierung sozialisiert – in dieser Entwicklung eine tragende Rolle spielen. Dabei wird untersucht, ob die verstärkte weibliche Präsenz in bestimmten Diskursen und Institutionen zu einer neuen moralischen Ordnung beiträgt, die moralische Eindeutigkeit über Ambiguität und offene Debatten stellt.
Methodik und Ziele
Das Projekt kombiniert qualitative Diskursanalyse, medienwissenschaftliche Untersuchungen und empirische Studien zur geschlechtsspezifischen Ausprägung von Altruismus und sozialem Aktivismus. Ziel ist es, die zugrundeliegenden Mechanismen des fundamentalistischen Altruismus zu verstehen und seine Auswirkungen auf öffentlichen Diskurs, Meinungsfreiheit und institutionelle Machtstrukturen zu analysieren.
Das Forschungsprojekt verbindet kulturwissenschaftliche, religionswissenschaftliche und geschlechtertheoretische Perspektiven, um die Wechselwirkungen zwischen moralischer Identitätspolitik, geschlechtsspezifischen Dispositionen und gesellschaftlichen Transformationsprozessen zu untersuchen. Es leistet damit einen wichtigen Beitrag zur Analyse gegenwärtiger moralischer Ordnungen und ihrer Spannungsfelder.
Literatur (Auswahl)
Kaufmann, Eric (2024): Taboo. How Making Race Sacred Produced a Cultural Revolution.
Waal, Frans de (2022): Different. Gender Through the Eyes of a Primatologist.
McWhorter, John (2021): Woke Racism: How a New Religion Has Betrayed Black America.
Lukianoff, Greg & Haidt, Jonathan (2018): The Coddling of the American Mind.
Prohl, Inken (2022): „Vom Verlust der sozialen Realitäten von Religionen – Kennzeichen einer ‚woken‘ Religionswissenschaft“. Herausgegeben von Sandra Kostner. Zeitschrift für Politik Sonderband 10:107–30.
Erste Ergebnisse
Prohl, Inken. im Druck. „Altruistischer Fundamentalismus: Die Social Justice-Bewegung als religionsanaloge Formation“. Zeitschrift für Didaktik der Philosophie und Ethik (ZDPE).