Blogbeitrag Heils- und Jenseitsvorstellungen im Transhumanismus

Paul Glen Fischer, M.A.

veröffentlicht am 31.10.2022

Paul Glen Fischer ist Doktorand am Heidelberger Institut für Religionswissenschaft. Sein Dissertationsprojekt trägt den Arbeitstitel "Körperkonzepte und Religion bei gegenwärtigen Transhumanisten".

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Dissertationsprojekt

Paul Glen Fischer, M.A.

„Körperkonzepte und Religion bei gegenwärtigen Transhumanisten“ (Arbeitstitel)

Die Bewegung des Transhumanismus stellt weit verbreitete Zuschreibungen an den Begriff "Religion" vor eine Herausforderung: Denn anders als in traditionellen Religionen wird hier verheißenes Glück immer weniger in einem metaphysischen Jenseits vermutet und immer mehr in die greifbare, dem Menschen zugängliche Welt hineingedacht.

Der Wunsch, dem Tod durch den Einsatz von Technologie zu entgehen – oder wenigstens nicht für alle Zeit tot sein zu müssen –, lässt sich als eine Art Kampfansage an die vorhandenen religiösen Traditionen verstehen, die über viele Jahrhunderte hinweg in dem Bestreben, den Menschen in seiner Vergänglichkeit zu trösten, gleichzeitig diese Vergänglichkeit als unabwendbare Konstante des menschlichen Lebens besprochen und gerechtfertigt haben. So heißt es im biblischen Buch Kohelet, dass "alles ein Windhauch" sei – der menschliche Körper, menschlicher Besitz, menschliche Werke, menschliche Bildung und menschliches Wissen (vgl. Koh, 1). Transhumanismus birgt das Versprechen, sich für immer, jedenfalls aber möglichst lange, am Leben erfreuen zu können; Leiden und Sterben werden nicht mehr akzeptiert.

Damit spiegelt diese Bewegung des 20. und 21. Jahrhunderts auch eine Neuordnung des Verhältnisses des Menschen zu sich selbst: Der menschliche Körper wird als verbesse-rungsfähige Maschine verstanden, als eine Ansammlung von Prozessen und Funktionen, die durch technische Ergänzung oder Ersetzung von Einzelteilen – wie Gliedmaßen und Organen – in ihrer Leistungsfähigkeit verbessert werden können, bis hin zur totalen Erset-zung des Körpers (vgl. Krüger 2019: 151). Noch bevor die wissenschaftliche Forschung die dazugehörigen Technologien entwickelt oder weit genug verfeinert hat, streben Transhumanist*innen danach, aus ihrem Körper, der von ihnen so verstandenen Mensch-Maschine, das Bestmögliche an Leistung herauszuholen und dadurch die erhofften Fort-schritte noch erleben zu können. In diesem Sinne zählen auch verschiedene Ernährungs-philosophien, Sportprogramme und leistungssteigernde Medikamente zu den Technologien, auf die die transhumanistische Bewegung zurückgreift (vgl. Babich 2016: 207).

Für die Heilsvorstellungen bedeutet das in der Konsequenz, dass das Heil nicht nur in ei-nem möglichst langen Leben gesehen wird, sondern auch in einem Leben, in dem dem Menschen möglichst wenige Beschränkungen auferlegt sind. Der Mensch ist nicht mehr genötigt, in Fragen des Konsums und des Umgangs mit seinem Körper die Risiken zu beachten, die dessen Verletzlichkeit mit sich bringt; ebenso sollen durch enhancement, also leistungssteigernde Modifikation, Erfahrungen und Karrieren möglich werden, die heute noch nicht denkbar sind. Die transhumanistischen Visionen von Heil und Jenseits lassen sich darum etwa in der Formel "möglichst lange leben, aber möglichst wenig menschlich bleiben" pointieren, wenngleich es zu beachten gilt, dass dies dem breiten Spektrum an konkreten Ideen nicht im Einzelnen gerecht wird (vgl. Krüger 2019: 114-115).

Für die religionswissenschaftliche Forschung besteht eine wesentliche Herausforderung darin, zu eruieren, welche Auswirkungen ein solch technischesVerständnis des Körpers und eine so radikale Ausformung des individuellen Strebens nach Glück auf die ethische Ausrichtung von Akteur*innen entfalten. Das Leben und Denken des Menschen, sein Körper und sein Geist, werden als ein komplexes technisches System aufgefasst, das erweitert und verlagert werden kann; der Robotiker Hans Moravec spricht von einem "Datenträger Körper" (vgl. Moravec 1988: 153, 187; darüber hinaus Krüger 2019: 180). Das Konzept der Seele, das die Philosophie seit Jahrtausenden prägt, weicht einem Verständnis des menschlichen Geistes als Datenmuster, das – so die Hoffnung – in naher Zukunft als Computerdatei vorliegen und dadurch im digitalen Raum ewig weiterexistieren kann (vgl. Mehlhausen, Dunkel 1994: 213).

Verwendete Literatur:

BABICH, Babette. 2016. "Körperoptimierung im digitalen Zeitalter: Verwandelte Zauberlehr-linge und zukünftige Übermenschen". In Körperphantasien. Technisierung - Optimierung - Transhumanismus, herausgegeben von Andreas Bernsteines und Tanja Kohn, 12: 203-224. Edited Volume Series, Innsbruck University Press.

KRÜGER, Oliver. 2019. Virtualität und Unsterblichkeit - Gott, Evolution und die Singularität im Post- und Transhumanismus. Freiburg i. B.: Rombach.

MÜHLHAUSEN, Joachim & Daniela DUNKEL. 1994. "Monismus / Monistenbund". In Theologische Realenzyklopädie, Band 23, 212-219. Berlin: Walter de Gruyter.

MORAVEC, Hans. 1988. Mind Children - The Future of Robot and Human Intelligence. Cambridge (Massachusetts): Harvard University Press.

Außerdem:

Die Bibel (Einheitsübersetzung). 2016. Freiburg: Herder.