Blogbeitrag Buddhism goes online. Wandel zu Zeiten einer Pandemie?

Silke R.G. Hasper, M.A.

veröffentlicht am 16.03.2022

Silke R.G. Hasper, M.A. ist Doktorandin am Institut für Religionswissenschaft und am Heidelberger Centrum für Transkulturelle Studien der Universität Heidelberg. In verschiedenen Projekten analysiert sie seit 2015 Wechselwirkungen zwischen sozialem Wandel und Transformationen im Umgang mit dem Tod in Japan.

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Dissertationsprojekt

Silke R. G. Hasper, M.A.

„Between Self-Orientalism and Self-Improvement. A Transcultural Analysis of Mindfulness and Therapy in Contemporary Japan“

Es ist Vormittag in Kamakura. Ein Dutzend Menschen sitzt auf Sitzkissen in einem mit Reisstrohmatten ausgelegten Raum und schweigt. Nur wenig später und beinahe zeitgleich wandern Smartphones und iPads aus Taschen in Hände und beginnen zu leuchten. Ein Mann in Kleidung, die ihn als buddhistischen Mönch kennzeichnet, stellt ein schwarzes Stativ auf die hellbraunen Reisstrohmatten, befestigt ein Handy daran und setzt sich wieder auf seinen Platz. Vor ihm: Menschen, die ihn anschauen, Menschen, die auf Displays schauen. Ein Mikrofonkabel verbindet den Mönch mit seinem Handy. Das Handy verbindet den Raum in Kamakura mit der digitalen Welt. InstagramLive kann beginnen. Das war am Anfang einer globalen Pandemie, die aus Treffen im realen Leben virtuelle Treffen machte, die Menschen physisch trennte und virtuell verband. Maßnahmen zur Eindämmung der COVID-19-Pandemie zeigen seit 2020 einen erhöhten Bedarf an einer Digitalisierung weiter Teile des Alltags. Wirkt sich die gegenwärtige Pandemie auch auf den Umgang mit Technologien in religiösen Kontexten aus? Die eingangs beschriebene Szene sagt: Ja. Zu fragen bleibt: Wie?

Besonders für Tempel der etablierten buddhistischen Schulen birgt die Übertragung von Praktiken im und am Tempel in die Onlinewelt Schwierigkeiten, wie Beobachtungen aus dem ersten Jahr der COVID-19-Pandemie zeigen. Die religiöse Landschaft Japans ist durchzogen von einer Vielzahl an buddhistischen Schulen – auch Traditionen oder Denominationen genannt –, die sich wiederum in eine Vielzahl an Unterschulen aufgliedern. Der Religionswissenschaftler Levi McLaughlin betont, dass sich jene buddhistischen Schulen im Umgang mit der Pandemie vor allem auf Einzelinitiativen einer buddhistischen Basis stützen. In den Haupttempeln, die als Zentren der jeweiligen buddhistischen Schulen fungieren, scheinen das hierfür benötigte Humankapital sowie eine digitale Infrastruktur zu fehlen (McLaughlin 2020: 12). Ein Blick auf die Website der Japan Buddhist Federation (JBF), die einen Großteil der Tempel vereint – insgesamt 105 buddhistische Organisationen und Denominationen –, bestätigt diese Beobachtung: In einer Übersicht zu pandemiebezogenen Aktivitäten auf der Website der JBF nehmen digitale Angebote nur wenig Raum ein (JBF 2020; JBF 2022). Dass es sich bei jenen Angeboten oftmals um ein Reframing bereits existierender Praktiken handelt, zeigt sich am Beispiel online zur Verfügung gestellter Gebetsformulare.

Gebetsformulare tauchen auf verschiedenen Websites als semi-digitale Angebote auf. Wer etwa die Website des in den Bergen außerhalb Osakas gelegenen buddhistischen Tempels Hontaki-ji besucht, kann ein Bittgebetsformular herunterladen, es ausdrucken, ausfüllen und postalisch oder als Fax an den Tempel schicken (Hontaki-ji 2020). Solche Angebote finden sich auch auf anderen Tempelwebsites. Weder sind Gebetsformulare buddhistischen Schulen eigen noch handelt es sich hierbei um eine buddhistische Neuerung vor dem Hintergrund der Pandemie. Einige Websites kommunizieren jedoch eine Verbindung zwischen Pandemie und Gebetsformular: Das Angebot sei für diejenigen, die den Tempel nicht selbst besuchen könnten (vgl. Honmon-ji 2022; Hontaki-ji 2020). Auf Websites anderer Tempel rät das Tempelpersonal explizit von einem Besuch des buddhistischen Ortes ab und empfiehlt die semi-digitale Methode der religiösen Partizipation (vgl. Chūson-ji 2020). Unabhängig des genauen Framings dieser Praxis lässt sich festhalten: Hier gibt es ein Angebot online, das durch das Medium des Bittgebetsformulars einen physischen Link zwischen Praktizierenden und Tempeln herstellt. Welche anderen Formen der Interaktion mit Tempeln und Tempelpersonal bietet die Gegenwart?

Zwischen Coaching-Angeboten und Yoga-Workshops verkaufen Ticketportale virtuellen Zugang zu buddhistischen Menschen und Orten – meist in Form eines Zoom-Links. Ähnlich wie in vielen anderen Bereichen des Lebens lässt sich feststellen: Digitale Angebote religiöser Institutionen haben pandemiebedingt zugenommen. Durch die Nutzung von Videokonferenzdiensten entstehen im digitalen Raum temporäre Gemeinschaften. Eine erhöhte Nutzung digitaler Mittel ermöglicht neue Formen der Interaktion und der Gemeinschaftsbildung, wie der Religionswissenschaftler Morten Schlütter in Bezug auf eine generelle Digitalisierung buddhistischer Praktiken feststellt (Schlütter 2014: 511). Wie sind solche Transformationsprozesse in der gegenwärtigen religiösen Landschaft zu bewerten, wie werden sie wahrgenommen?

Beobachtungen aus zwei Jahren Pandemie zeigen, es gibt drei Reaktionen auf digitale Transformationen: 1) Akteur*innen beschreiben digitale Angebote als Weiterführung bereits existierender Strukturen. 2) Akteur*innen deuten bereits existierende (digitale) Angebote vor dem Hintergrund der Pandemie um. 3) Akteur*innen beschreiben digitale Praktiken als Neuheiten. Ob die Pandemie nachhaltige Auswirkungen auf das buddhistische Feld in Japan hat, kann erst in der Retrospektive bewertet werden.

Verwendete Literatur:

Chūson-ji. 2020. "Shinshun kitō o-mōshikomi. Shinshun kitō o-mōshikomi ni tsuite (Anmeldung von Neujahrsgebeten. Über die Anmeldung von Neujahrsgebeten)". Website des Chūson-ji: www.chusonji.or.jp/prayer/prayer_form.php (zuletzt abgerufen am 10.01.2022).

Honmon-ji. 2022. "Go-kigan go-kuyō (Gebete und Andachten)". Website des Honmon-ji: www.honmonji.jp/pray/kigan.html (zuletzt abgerufen am 10.01.2022).

Hontaki-ji. 2020. "O-shirase. Go-kitō mōshikomisho (Ankündigung. Bittgebetsformular)". Website des Hontaki-ji: www.hontakiji.com/information/wp_news_info.php?p=744 (zuletzt abgerufen am 10.01.2022).

JBF. 2022. "Soshiki gaiyō (Überblick über die Organisation)". Website der Japan Buddhist Federation: http://www.jbf.ne.jp/about/about_JBF (zuletzt abgerufen am 06.02.2022).

JBF. 2020. "O-shirase ichiran shōsai. Shingata korona uirusu kansenshō e no kameidantai no taiō (Detaillierte Liste der Ankündigungen. Reaktionen der Mitgliedsorganisationen auf die Infektionskrankheit neuartiges Coronavirus. Update vom 28.5.)". Website der Japan Buddhist Federation: www.jbf.ne.jp/info/detail?id=10156 (zuletzt abgerufen am 10.01.2022).

McLaughlin, Levi. 2020. "Japanese Religious Responses to COVID-19. A Preliminary Report". The Asia-Pacific Journal 18(9)3: https://apjjf.org/-Levi-McLaughlin/5394/article.pdf.

Schlütter, Morten. 2014. „Buddhism in the Digital World“. In The Wiley Blackwell Companion to East and Inner Asian Buddhism, herausgegeben von Mario Poceski, 505–22. Oxford: Wiley Blackwell 2014.