Dissertationsprojekt Christian Deisenroth , M.A.
Religion in der Pandemie. Eine religionswissenschaftliche Untersuchung medial vermittelter religiöser Praxis und korrespondierender Aneignungsdiskurse während der SARS-CoV-2-Pandemie (Arbeitstitel)
Laufende Promotion
Periodisch wiederkehrende Infektionsschutzbestimmungen und die Diskussion um die Impfung gegen das SARS-CoV-2 Virus oder gar um die Impfpflicht haben die Mitglieder von Religionsgemeinschaften während der sog. "Corona-Pandemie" vor neue Herausforderungen gestellt, die z. T. zu einem Überdenken traditioneller Formen religiöser Praxis führten. Um weiterhin gemeinsame Praktiken durchführen zu können – z. B. regelmäßige "Gottesdienste" oder das gemeinschaftliche Feiern religiöser Feste – griffen viele Religionsgemeinschaften auf das naheliegende Mittel der "Videokonferenz" zurück. Die Übertragung von religiösen Praktiken im Fernsehen ist bereits seit Jahrzehnten gängig, war bisher jedoch ein zusätzliches Angebot zu einer Teilnahme vor Ort und kein Ersatz. Die Videokonferenz unterscheidet sich von TV-Übertragungen zudem durch die Möglichkeiten der aktiven Teilnahme.
Was zunächst als banale Nutzung eines Werkzeugs erscheinen mag, ist bei näherer Betrachtung vielschichtiger. Die Perspektive der Materialen Religion bietet eine theoretische Grundlage zur Untersuchung ebendieser Vielschichtigkeit. In Anlehnung an Birgit Meyer kann Religion als ein Netzwerk von von Menschen hervorgebrachten Ideen und Praktiken mit Bezug auf eine über-empirische Sphäre, die nur medial vermittelt wahrgenommen werden kann, verstanden werden. Die mediale Vermittlung ist somit untrennbar mit der religiösen Praxis verbunden. Die Umstellung von einem „Gottesdienst“ vor Ort in die digitalisierte Version in Form einer Videokonferenz konstituiert somit nicht lediglich die gleiche Praktik in digitaler Form, sondern mindestens eine neue Form dieser Praktik, vielleicht sogar eine gänzlich neue religiöse Praktik, die ein neues Set an sinnlichen und möglicherweise auch kognitiven Wahrnehmungen mit sich bringt.
Die Bedeutung von (Medien)-Technologien für Religionsgemeinschaften wird auch an den in Teilen intensiven Diskussionen um deren Benutzung durch Mitglieder von Religionsgemeinschaften deutlich. In vielen Fällen ist die Einführung und Nutzung von neuen (Medien)-Technologien von unterschiedlichen Diskursen begleitet, in denen ausgehandelt wird, ob die Nutzung einer neuen Technologie / eines neues Medium erlaubt werden sollte, in welcher Form eine Nutzung angebracht sein könnte, ob die Nutzung ggf. auf bestimmte Zwecke beschränkt werden sollte usw. Auch der Rückgriff auf Videokonferenzen für die Durchführung religiöser Praktiken wird zum Teil kontrovers diskutiert.
Dieses Promotionsprojekt wird untersuchen, wie die Diskurse rund um die Einführung von neuen (Medien)-Technologien in ausgewählten Religionsgemeinschaften geführt werden und wie dieser Einsatz im Sinne der Annahmen der Materialen Religion die religiöse Praxis veränderte.